Auch in Deutschland nutzen Parteien Datensammlungen für den Wahlkampf. Wie genau das im Bundestagswahlkampf 2017 geschah, hat Ingo Dachwitz für das Portal netzpolitik.org recherchiert.

Mit zielgerichteter Werbung auf Plattformen wie Facebook oder Google lassen sich politische Botschaften auf kleine Zielgruppen zuschneiden. Die datenbasierte Technik, die manche für Donald Trumps Wahlsieg in den USA mitverantwortlich machen, wird auch von den Parteien in Deutschland genutzt. Reden wollen die meisten von ihnen darüber aber nicht – und weigern sich, ihre Methoden offenzulegen. „Wir wollen keine Republik, in der linke Kräfte und der Multikulturalismus die Vorherrschaft haben.“ Mit diesen markigen Worten neben dem Konterfei ihres Spitzenpolitikers warb im Frühjahr 2017 eine deutsche Partei – in russischer Sprache. Na klar, der logische nächste Schritt der AfD beim Umwerben einer nicht unbedeutenden Wähler/innengruppe, könnte man denken. Doch es war nicht die selbsternannte Alternative für Deutschland, die diese Anzeige auf Facebook schaltete, sondern die bayerische Regierungspartei CSU. Mitbekommen haben das allerdings die wenigsten Menschen in Deutschland. Kein Wunder: Zu sehen bekam die autoritär anmutende Botschaft offenbar nur, wer den Wunschvorstellungen der Unionspartei entsprach – in diesem Fall Deutschruss/innen.

Möglich macht das Microtargeting. Schon seit Jahren werden kommerzielle und politische Botschaften im Netz auf immer kleinteiligere Gruppen bis hin zum Individuum zugeschnitten. Spätestens seit dem Wahlsieg Donald Trumps wird viel darüber spekuliert, welchen Einfluss diese Technik auf Wahlen haben könnte. Ist sie ein demokratiegefährdendes Manipulationswerkzeug oder bloß die Fortsetzung der politischen Werbung mit modernen Mitteln? Nach den Recherchen von Netzpolitik nutzten im Bundestagswahlkampf alle etablierten deutschen Parteien Microtargeting – wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise.

Wahlkampf powered by Facebook

Nach welchen Kriterien etwa die Zielgruppe für die russischsprachige CSU-Anzeige ausgewählt wurde, kann nur gemutmaßt werden. Zwar können sich betroffene Nutzer/innen anzeigen lassen, warum sie selbst einen bestimmten Werbebeitrag auf Facebook zu sehen bekommen. Öffentliche Transparenz aber gibt es nicht, weder von der Plattform noch von der Partei selbst. „Ich bitte um Verständnis, dass wir zu Budget-Fragen wie auch zu Fragen der strategischen Ausrichtung unseres Online-Wahlkampfes keine näheren Angaben  machen“, teilte CSU-Sprecher Jürgen Fischer auf unsere Frage nach detaillierteren Auskünften über die Nutzung von Microtargeting im Wahlkampf mit. Mit dem Aufstieg der Sozialen Netzwerke zu Massenmedien zieht die Personalisierung von Kommunikationsflüssen zunehmend auch in die politische Kommunikation ein. Grundlage dafür sind die umfassenden Datenspuren, die wir in der digital vernetzten Gesellschaft täglich hinterlassen: Informationen über Einkommen und Einkaufsverhalten, Alter und Interessen, Geschlecht und sexuelle Orientierung, Herkunft und Lebenssituation, politische und  religiöse Überzeugungen. Vor allem in den USA werden Analysen dieser umfassenden Informationen´seit Jahren eingesetzt, um politische Botschaften maßzuschneidern. Und auch die Parteien in Deutschland setzen zunehmend Microtargeting ein. Denn selbst, wenn sie aufgrund der hiesigen Datenschutzgesetze nur schwerlich eigene umfangreiche Datenbanken über ihre potenziellen Wähler/innen aufbauen und Persönlichkeitsprofile von ihnen erstellen dürfen: Zugeschnittene Botschaften können sie dank der hauseigenen Werkzeuge von Facebook, Youtube oder Google auch hier sehr zielgenau an die Wähler/innen bringen. Schließlich ist es seit Jahren die zentrale Einnahmequelle der Plattformen, die Aufmerksamkeit ihrer gläsernen Nutzer/innen an alle zu verkaufen, die es sich leisten können.

Wahlwerbung je nach Interessenlage

Der Targeting-Baukasten von Facebook beispielsweise, das intensiv um Politiker/innen wirbt und im deutschen Online-Wahlkampf die größte Rolle spielt, ermöglicht ein bequemes Auswählen oder Ausschließen von Menschengruppen nach dutzenden Kriterien. Alter, Wohnort, Geschlecht, Bildung, Einkommen oder genutzte Hard- und Software gehören noch zu den harmloseren Kategorien, nach denen die Nutzer/innen gerastert werden.Werbende können darüber hinaus auf Informationen über gelikte Seiten, das Surfverhalten außerhalb der Plattform, Konsumverhalten oder von Facebook aufgrund des Nutzungsverhaltens zugeschriebene Merkmale wie „Pendler“, „soziale Themen“, „Fernbeziehung“, „Feminismus“, „Homosexualität“ oder religiöse und politische Verortungen zurückgreifen. Ob diese intensive Nutzung personenbezogener Daten zu Werbezwecken überhaupt legal ist, ist nach wie vor hochgradig umstritten – die Parteien machen davon jedoch gerne Gebrauch. So sprach beispielsweise die FDP mit Facebook-Wahlwerbung über die „Mobilität der Zukunft“ gezielt Fans der Elektroauto-Marke Tesla an. Wer sich wiederum für „Computersicherheit“ interessiert, bekommt eine bürgerrechtsfreundliche FDP präsentiert, die CDU und SPD für ihre die Grundrechte einschränkende Politik kritisiert und einen besseren Schutz der Privatsphäre verspricht. Auch die Partei Die Linke setze – in Maßen – auf Online-Targeting bei Facebook, erzählt uns Mark Seibert, der mit der Berliner Agentur DIG Die Linke im Wahlkampf berät. „Wir haben in der Vergangenheit gute Erfahrungen damit gemacht, in einem abgesteckten Rahmen zugeschnittene Botschaften an ausgewählte Zielgruppen zu senden“, erzählt der Kommunikationsprofi. So habe man beispielsweise im Nachgang der Landtagswahl in Sachsen angefangen, potenzielle AfD-Wähler/innen mit Facebook-Anzeigen zu kontaktieren, die über das Abstimmungsverhalten der Partei im Landtag informieren. „Es gibt krasse Unterschiede zwischen dem, was die AfD im Wahlkampf versprochen hat, und dem, wie sie im Parlament dann tatsächlich abstimmt. Das sollten die Menschen wissen“, erklärt Seibert die Motivation. So habe Die Linke eine Anzeige für AfDSympathisant/innen in Sachsen geschaltet, die thematisierte, dass die Partei im Landtag gegen eine Initiative für mehr direkte Demokratie gestimmt hat – anders als zuvor versprochen.

Politische Kommunikation im Halbdunkel

Eine zunehmende Personalisierung der politischen Kommunikation durch Microtargeting bedeutet zwangsläufig auch eine weitere Fragmentierung der politischen Öffentlichkeit. Besonders drastisch ist dieser Effekt, wenn Menschen außerhalb der definierten Zielgruppe die Botschaften gar nicht mehr zu sehen bekommen. Die Targeting-Instrumente von Facebook und anderen Plattformen bieten hierfür eine Option, sogenannte Dark Posts. Die zugeschnittenen Botschaften werden dann nur den ausgewählten Zielpersonen ausgespielt – für andere Nutzer/innen oder auf dem Profil der werbenden Partei sind sie nicht sichtbar. Gleichzeitig sehen die Anzeigen aus wie normale Beiträge – lediglich mit dem kleinen Hinweis „gesponsert“ versehen. Die oben genannte Wahlwerbung der FDP ist zumindest potenziell für alle sichtbar, die danach suchen, zum Beispiel auf der Facebookseite der FDP Schleswig-Holstein. Die Anzeige der Partei Die Linke, die sich explizit an sächsische AfD-Sympathisant/innen richtete, war hingegen nur für diese sichtbar. Wie ambivalent diese Dark Posts sind, macht ein anderes Beispiel deutlich, mit dem ebenfalls auf potenzielle AfD-Wähler/innen abgezielt wurde: Die ARD berichtete im Juli 2017 von einer Anzeige des CDU-Präsidiumsmitglieds Jens Spahn, mit dem er sich via Facebook ausschließlich an Fans der AfD-Seite gewandt habe: „Sichere Außengrenzen für ein sicheres Europa. Seht ihr das genauso?“ fragte der damalige Staatssekretär im Finanzministerium demnach. Menschen in Großstädten hingegen bekamen von ihm eine weltoffene und international wirkende Anzeige zu sehen, die le-diglich die Botschaft „Deutschland ist großartig“ enthielt. Wen welche politischen Akteure mit welcher Botschaft und welcher Emotion auf welchem Kanal zu erreichen versuchen, bleibt mit dem Aufstieg von Facebook zur zentralen digitalen Diskursplattform und der wachsenden Bedeutung von Microtargeting mehr und mehr im Schatten. Für den politischen Diskurs bedeutet das eine gravierende Veränderung: Bislang gehörte es zumindest normativ zum fairen Wettbewerb in der liberalen Demokratie, ein gewisses Maß an Transparenz und Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Niemand musste seine Kommunikationsstrategie veröffentlichen – aber Wahlplakate, Radio und Fernsehspots konnten von allen   Bürger/innen und auch von der politischen Konkurrenz rezipiert werden. Damit waren die eigenen Botschaften für alle vergleich und vor allem anfechtbar. Widersprüchliche Versprechen an unterschiedliche Gruppen konnten entlarvt und öffentlich diskutiert werden. Andere politische Akteure konnten widersprechen und auf dieser Grundlage einen politischen Diskurs führen. Bürger/innen und Journalist/innen konnten Vergleiche ziehen oder tatsächliches politisches Handeln mit gegebenen Versprechen abgleichen.

Technik mit Missbrauchspotenzial

Zwar ist nach wie vor äußerst unzureichend erforscht, wie genau mit Microtargeting menschliches Verhalten beeinflusst werden kann – besonders ein so komplexer Prozess wie die Wahlentscheidung. Dass Wähler/innen in ihrer Stimmung komplett umgedreht werden können oder Microtargeting gar die Hauptursache für die Wahl Trumps war, wie es manche Berichterstattung nahelegte, darf tatsächlich bezweifelt werden. Außer der geschickten Selbstvermarktung der Big-Data-Firma Cambridge Analytica, die Trump im Wahlkampf unterstützt hat, gibt es immer noch keine nachvollziehbaren Belege für die Ausmaße und die tatsächliche Auswirkung der Technik auf die US-Wahl.

Datensammeln an der Haustür

Bislang hängt die Transparenz auch in Deutschland vom guten Willen der Parteien ab. Wir haben deshalb intensiv nachgefragt, doch Seibert war der einzige Mitarbeiter einer Wahlkampfagentur, der mit uns sprechen wollte. Alle anderen verwiesen auf die Pressestellen ihrer Auftraggeber. Viele Informationen waren von den meisten Parteien allerdings nicht zu bekommen. Ähnlich dünn wie die Auskünfte der CSU fiel beispielsweise die Antwort aus der Parteizentrale der Schwesterpartei CDU aus. Um in Kontakt mit ihren Wähler/innen zu kommen, setze sie auf unterschiedliche Kanäle – „vom Großflächenplakat über den Brief bis zum Facebookposting“, hieß es in einer Antwort an uns. Welche Botschaften wann ausgespielt würden, sei jedoch Teil der strategischen Planung und werde deshalb nicht veröffentlicht. Auch Informationen darüber, welche finanziellen Mittel die CDU für die zielgerichtete Ansprache im Wahlkampf aufwendet, waren nicht zu erhalten. „Das Budget für den gesamten Bundestagswahlkampf beträgt rund 20 Millionen Euro. Wir unterscheiden nicht zwischen Online- und Offline-Wahlkampf, sondern stellen den Kontakt mit den Wählerinnen und Wählern in den Vordergrund“, lautete die Antwort aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Fragen danach, welche Targeting-Instrumente die Partei einsetzt, ob sie dabei mit externen Firmen zusammenarbeitet oder vielleicht eigene Datenbestände aufbaut, blieben unbeantwortet. Wir erhielten lediglich eine grundsätzliche Bestätigung, dass die CDU beispielsweise zu den Landtagswahlen die Möglichkeit genutzt habe, „Wahlaufrufe lokal in den Bundesländern“ auszusenden. Wie so etwas aussehen kann, ist auf Twitter bereits dokumentiert: Auf Facebook rief die CDU jüngst gezielt Menschen in Berlin zur Briefwahl auf und warb dafür beispielsweise mit der Neuköllner Bundestagsabgeordneten Christina Schwarzer. Dass das allerdings nicht alles ist, ist inzwischen bekannt. Mit ihrer Connect17-App für den Haustür-Wahlkampf setzt die CDU durchaus auf eine ausgefeilte Art des Offline-Targetings, wie die Berliner Zeitung berichtet: „Wir haben über die Deutsche Post Direkt GmbH eine Potenzial-Analyse auf Straßenzugebene eingekauft. Das bedeutet, dass für einen Wohnblock eine statistische Wahrscheinlichkeit errechnet wurde, mit der dort die CDU gewählt wird“, zitiert die Zeitung einen Parteivertreter. Darüber hinaus könnten die Wahlkämpfer/innen in der App selbst Daten über die besuchten Häuser in eine zentrale Datenbank einspeisen. So etwa ob sie dort auf einen Mann oder eine Frau trafen, wie alt die Person etwa war und ob das Überzeugungsgespräch gut, schlecht oder mittelmäßig verlief.

CDU, SPD, FDP und AfD geben sich verschlossen

Basieren dürften die Potenzial-Analysen der CDU auf einem ähnlichen Prinzip wie die, die Simon Hegelich von der Technischen Universität München am Beispiel der FDP aufgeschlüsselt hat. Durch eine Unachtsamkeit des niedersächsischen Landesverbandes der Liberalen waren ihm zufolge Zugangsdaten für das interne Wahlkampf-Schulungsmaterial der Partei online zu finden. Demnach ließ sich auch die FDP Wahlwahrscheinlichkeiten errechnen, allerdings mit Daten von dimap und nicht von der Post. Offenbar wurden hier Daten über vergangenes Wahlverhalten und soziodemographische Informationen wie Alter und Einkommen kombiniert, um Gegenden mit Haushalten zu identifizieren, die denjenigen ähneln, die früher FDP gewählt haben. Für die Datenschutzkonformität wurden Hegelich zufolge jeweils sechs Haushalte zu einem Cluster zusammengefasst. Ähnliche Größenordnungen sind auch über die Genauigkeit der CDU-Informationen zu hören. Von der FDP selbst bekamen wir bei einer ersten Nachfrage zum Thema Microtargeting im Frühjahr leider ebenfalls nur eine allgemeine Auskunft: „Die Freien Demokraten stehen den Möglichkeiten grundsätzlich positiv gegenüber, eine Vielzahl von Menschen gezielt zu erreichen. Personenbezogene Daten verwenden wir als Datenschutzpartei nicht.“ Außerdem gab es die Info, dass ein Zehntel des fünf Millionen Euro umfassenden Wahlkampf-Budgets für Online-Maßnahmen vorgesehen ist. Auf mehrfache Nachfragen zu den Themen Transparenz, Kooperation mit externen Datenfirmen oder eigene Datenbanken reagierten Parteisprecher Nils Droste und die Pressestelle überhaupt nicht. Aus einer Recherche der Berliner Morgenpost geht jedoch hervor, dass die FDP primär auf Online-Targeting mithilfe von Facebook- und Google-Anzeigen setzen wollte. Auch die SPD gibt sich verschlossen. Nach Angaben einer Sprecherin kann die Partei nicht genau sagen, wie viel Geld sie im Bundestagswahlkampf für Online-Werbung oder Microtargeting ausgibt. Wir bekamen lediglich die Antwort, das Gesamtbudget betrage 24 Millionen Euro. Ein Teil davon dürfte allerdings sicher für Online-Targeting auf Social-Media-Plattformen wie Facebook und Instagram ausgegeben werden, auch wenn davon bislang wenig öffentlich dokumentiert ist. Außerdem sollte es für den Haustürwahlkampf der Sozialdemokraten eine mobile Kampagnenseite geben, die die Freiwilligen ähnlich dem App-Pendant bei der CDU über das Stimmenpotenzial bestimmter Straßen und Häuserblocks informiert. Leider haben wir von der SPD-Pressestelle trotz wiederholter Nachfragen keine weiteren Auskünfte erhalten. Überhaupt keine Auskünfte wollte uns die AfD geben. „Leider stehen wir für solche Anfragen nicht zur Verfügung“, lautete der einzige Kommentar von Parteisprecher Christian Lüth. Anfang 2017 hatte er gegenüber der Berliner Morgenpost angekündigt, die AfD setze gar nicht auf Microtargeting mit Dark Posts: „Wir verzichten darauf, unsere Inhalte nur an bestimmte Nutzer-Gruppen bei Facebook auszuspielen. Es geht uns um die Wirkung in der Breite.“

Grüne und Linke am transparentesten

Detaillierte Antworten auf unsere Fragen gab es tatsächlich nur von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Über die Targeting-Werkzeuge von Facebook hinaus würden im Bundestagswahlkampf keine eingesetzt, erklärte etwa Hendrik Thalheim, Sprecher der Partei Die Linke. Für den gesamten Bereich der Online-Werbung seien nur 150.000 Euro des insgesamt 6,5 Millionen Euro betragenden Wahlkampf-Budgets vorgesehen. Thalheim schloss zudem aus, dass Die Linke mit externen Firmen zusammenarbeitet, die Big-Data-Analysen mit eigenen Daten durchführen. Auch eigene Datenbestände würde die Partei nicht aufbauen wollen. Man führe jedoch „eine Datenbank mit Unterstützerinnen und Unterstützern, die aktiv Interesse an unserer Arbeit gezeigt haben“, um diese beispielsweise mit Newslettern zu adressieren. Eine wesentlich größere Rolle spielten Online-Werbung und Microtargeting im Wahlkampf von Bündnis 90/Die Grünen. Zwar hätte die Partei außer Newsletter-Datenbanken weder eigene Informationsbestände über individuelle Wähler/innen noch arbeite sie mit externen Firmen zusammen, die auf Big-Data-Analysen spezialisiert sind. Doch rund zwei des fünfeinhalb Millionen Euro umfassenden Wahlkampf-Budgets sollten für Online Maßnahmen ausgegeben werden, vor allem für zielgerichtete Werbung bei Facebook und Google, erzählte uns ein Sprecher. Zudem erklärten auch Bündnis 90/Die Grünen, für ihren Tür-zu-Tür-Wahlkampf Potenzialregionen „auf Grundlage der letzten Wahlergebnisse“ zu ermitteln. „Wir kaufen als Grüne keine Datensätze und Profile oder verschneiden sie miteinander“, hieß es dazu von einem Parteisprecher. „Einzelne Kreis- und Landesverbände nutzen lediglich die Erstwähleradressen der Meldeämter für die Ansprache von Erstwähler/innen per Brief.“

Demokratie braucht Vergleichbarkeit und Fairness

Fassen wir zusammen: Nach allem, was wir wissen, sind wir im Bundestagswahlkampf  noch weit entfernt von US-Verhältnissen. Die hiesige Prognose von Potenzialregionen für den Haustürwahlkampf ist längst nicht so ausgereift wie die umfassenden Persönlichkeitsprofile, die in den USA zum Einsatz kamen. Auch beim Online-Targeting scheinen die Parteien überwiegend zurückhaltender zu agieren– mit Sicherheit kann das derzeit aber niemand sagen. Eine echte politische Debatte über den Einsatz von Microtargeting im Wahlkampf gibt es bislang nicht – die meisten Parteien versuchen sie durch ihr rigides Informationsverhalten sogar zu verhindern. Dabei gibt es viel, was wir reflektieren sollten. Stärkt die Technik ein partizipationsfeindliches Politikverständnis,weil sie auf antiquierten Rollenmustern von sendenden Politiker/innen und empfangenden Wähler/innen beruht, anstatt einen echten Austausch zu fördern – oder kann sie einen positiven Effekt für die Demokratie haben, weil interessensorientierte politische Kommunikation bei Bürger/innen mehr Interaktion hervorruft als plakatierter Einheitsbrei? Werden Filterblasen durchbrochen, weil AfD-Sympathisant/innen plötzlich mit dem realen Abstimmungsverhalten ihrer geglaubten Alternative konfrontiert sind? Oder werden sie gefördert, weil Menschen in ihrem digitalen Lebensraum nun auch noch von Parteien nur die Aussagen zu hören bekommen, die ohnehin zu ihnen passen: Umweltschutz für Fans von Naturschutzorganisationen, Wirtschaftsförderung für Unternehmen, Verkehrsthemen für Pendler, soziale Gerechtigkeit für Bedürftige. Und ist es wirklich okay, dass die Parteien Plattformen wie Facebook oder Google finanzieren und so deren Geschäftsmodelle und ihre Macht über die digitale Öffentlichkeit legitimieren? All das lässt sich diskutieren. Unbestreitbar aber ist: Das derzeitige Halbdunkel birgt ein großes Missbrauchspotenzial, das dem fairen politischen Diskurs abträglich sein kann. Denn selbst wenn Nutzer/innen wissen, dass Anzeigen auf sie zugeschnitten wurden und Menschen mit anderem politischen Profil von den gleichen Politiker/innen Werbung mit ganz anderer Konnotation bekommen – da die Dark Posts nicht öffentlich sind, können sie nur schwer verglichen und politisch in Frage gestellt werden. Ob und von wem die notwendige Transparenz kommt, wird auch ein Gradmesser für den Zustand der Demokratie im beginnenden digitalen Zeitalter. /

 

Quellen:

Danke an Mehr Demokratie für die Nachdruck-Erlaubnis, sowie Ingo Dachwitz

aus Mehr Demokratie, Nr. 117, 3/2018

Ingo Dachwitz

Wahlkampf in der Grauzone: Die Parteien, das Microtargeting und die Transparenz

Der vollständige Artikel ist unter https://netzpolitik.org/2017/wahlkampf-in-der-grauzone-die-parteien-das-microtargeting-und-die-transparenz/ im Juli 2017 erschienen. Für das mdmagazin wurde er leicht gekürzt und redaktionell angepasst.

Lizenz: https.//creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0

Mit freundlicher Unterstützung von Mehr Demokratie und netzpolitik.org.