„Wir wollen den Verzicht aufs Auto attraktiver machen“
Eine etwas andere Abwrackprämie gibt es künftig in der Gemeinde Denzlingen bei Freiburg: Hier sollen Bürgerinnen und Bürger mit 500 Euro belohnt werden, wenn diese ihr Auto mit Verbrennungsmotor abschaffen. In Denzlingen regiert Markus Hollemann, 47 Jahre alt, seit elf Jahren im Amt. Seit seinem 17. Lebensjahr ist der Kommunalpolitiker und Diplom-Betriebswirt Mitglied in der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) Deutschlands, er ist der einzige ÖDP-Bürgermeister in Baden-Württemberg. Wie er die rund 14.000 Menschen in seiner Gemeinde für den Klimaschutz begeistern will und was die Kommune bisher ausprobiert hat, erklärt Hollemann im Interview.
ZEIT ONLINE: Herr Hollemann, Ihre Gemeinde will Bürgerinnen und Bürger belohnen, die ihr Auto abschaffen. Wie genau soll das ablaufen?
Markus Hollemann: Wer sein Auto mit Verbrennungsmotor abschafft und sich verpflichtet, drei Jahre lang kein neues zu kaufen oder zu leasen, soll mit 500 Euro gefördert werden. Die gibt es aber nicht einfach so, sondern man bekommt das Geld entweder als Zuschuss zum Jahresticket für den ÖPNV, als Zuschuss für den Kauf eines neuen Fahrrads oder E-Bikes oder als Einkaufsgutschein für lokale Unternehmen. Wählt man Letzteres, gibt es aber nur 200 Euro. Die Prämien sind Teil unseres Förderprogramms Klimaschutz.
ZEIT ONLINE: 500 Euro, um das Auto abzuschaffen – das ist nicht gerade viel. Was versprechen Sie sich davon?
Hollemann: Wir wollen mit den Prämien den Umstieg aufs Rad oder den ÖPNV fördern und den Verzicht aufs Auto etwas attraktiver machen. Darum ist der Wert des reinen Einkaufsgutscheins geringer. Gleichzeitig unterstützen wir die lokale Wirtschaft. Die Prämie ist an die Bedingung geknüpft, dass im Haushalt mindestens 36 Monate lang auf die Anschaffung eines neuen Benziner- oder Diesel-Pkw verzichtet wird.
ZEIT ONLINE: Und was ist mit Elektroautos?
Hollemann: Dieser Kauf wird bereits vom Bund gefördert, daher haben wir im Gemeinderat entschieden, dass wir den Erwerb von E-Rollern und E-Motorrädern mit bis zu 400 Euro unterstützen. Mein Ziel ist allerdings, mehr Menschen dazu zu bewegen, öfter das Auto stehen zu lassen, mehr zu Fuß zu gehen und Fahrrad zu fahren sowie Bus oder Bahn zu nutzen. In Denzlingen ist der Anteil an Jahreskartenbesitzern im ÖPNV im Vergleich zu anderen Kommunen überdurchschnittlich hoch. Ich bin überzeugt, hier geht noch mehr. Wir sind im ÖPNV hervorragend angebunden. Neben sechs Linienbussen, die sich an unserem ZOB kreuzen, halten RB, RE und zwei S-Bahnen; der ÖPNV fährt bis nach Mitternacht, außerdem wird nun endlich ein Radschnellweg ins nicht mal zehn Kilometer entfernte Freiburg gebaut. Vorfahrt für Radfahrer – das ist überfällig. Ich würde so weit gehen und sagen, dass wir in Denzlingen wirklich nur selten das Auto brauchen.
ZEIT ONLINE: Sie selbst haben aber auch ein Auto.
Hollemann: Ein Elektrofahrzeug, ja, das ich zum Beispiel gerade für eine Urlaubsfahrt ins schleswig-holsteinische Itzehoe nutze. Schon seit 2011 bin ich viel mit meinem Elektroroller unterwegs im Ort. Doch auf dem Fahrrad entdecke ich am meisten und komme immer ins Gespräch. Diese Begegnungen auf der Straße sind mir wichtig. Radfahren ist zudem am klimafreundlichsten. Bewegung an der frischen Luft stärkt das Immunsystem und macht Spaß. Die Mobilitätswende als notwendiger Teil der Energiewende funktioniert nur mit mehr Fahrradnutzung.
ZEIT ONLINE: Was sieht das Förderprogramm noch vor?
Hollemann: Es besteht aus vier Förderpaketen und setzt Anreize in den Bereichen umweltfreundliche Mobilität, Zubau von Solarstromanlagen, energetische Gebäudesanierung und nachhaltiger Lebensstil. Die Kommune fördert zum Beispiel auch den Kauf von E-Lastenrädern und E-Lastenanhängern mit bis zu 500 Euro – allerdings muss nachgewiesen werden, dass man Ökostrom bezieht. Und wir übernehmen die Anmeldegebühr bei Carsharing-Anbietern in Höhe von bis zu 60 Euro.
„Klimafreundliches Handeln durch finanzielle Anreize belohnen“
ZEIT ONLINE: Mit welchen Kosten rechnen Sie und wie wird das Ganze finanziert?
Hollemann: Der Gemeinderat hat bereits im vergangenen Herbst 50.000 Euro für die Klimaschutzmaßnahmen im Gemeindehaushalt 2020 zur Verfügung gestellt. Wir fördern so lange, bis der Topf leer ist – einen Rechtsanspruch auf die Förderung gibt es aber nicht.
ZEIT ONLINE: Wie sind die ersten Reaktionen und sind schon Anträge eingegangen?
Hollemann: Das verabschiedete Konzept ist nun erst zwei Wochen alt, doch es gibt bereits zahlreiche Nachfragen. Im Rathaus gehen wir davon aus, dass bald die ersten Anträge abgegeben werden. Tatsächlich rechne ich damit, dass vor allem die Förderung bei der energetischen Gebäudesanierung nachgefragt wird. Die Gemeinde stockt die Bafa-Zuschüsse vom Bund für die Erstellung eines Gebäudeenergiekonzepts von 80 Prozent auf 90 Prozent der Kosten auf.
ZEIT ONLINE: Das dürften sich aber nur Immobilienbesitzende leisten können. Und die Prämie für die Abschaffung des Autos ist ebenfalls wohl eher für Wohlsituierte attraktiv, die überhaupt ein Auto haben, das sie abschaffen können. Ist das nicht sozial ungerecht?
Hollemann: Wer mehr verbraucht, kann mehr einsparen. Jedes Verbrennerfahrzeug weniger auf der Straße ist ein Gewinn. Ob Erstwagen oder Zweitwagen, wenn auf eines verzichtet wird, dann nehme ich diese vermeintliche Ungerechtigkeit gern in Kauf. Zudem bieten wir viel Attraktives gerade für Mieterinnen und Mieter: Strom vom Balkon. Wir fördern das Photovoltaikmodul für die Steckdose. Ich träume von 1.000 Balkonmodulen im Ort. Sogar Steuerberatungskosten für die Wohnungseigentümergemeinschaften bei der Installation von neuen Solaranlagen oder bei Mieterstromprojekten übernimmt die Gemeinde, ebenso Teile des Batteriespeichers.
Und was mir besonders am Herzen liegt: Wir haben einen Ideenwettbewerb ausgelobt. Die Bürgerinnen und Bürger sollen mir ihre Projektvorschläge für mehr Klimaschutz oder nachhaltigeres Leben schicken. 3.000 Euro stehen dafür von unserer Bürgerstiftung bereit.
ZEIT ONLINE: Es ist nicht das erste Mal, das Denzlingen ungewöhnliche Wege geht, um Anreize für mehr Klimaschutz und ein nachhaltigeres Leben zu schaffen. Was haben Sie bisher schon ausprobiert?
Hollemann: Im Kampf gegen knappen Wohnraum im Jahr 2016 haben wir beschlossen, dass Vermieter, die leer stehende Wohnungen zurück auf den Wohnungsmarkt bringen, bis zu 1.200 Euro Prämie bekommen. Erfolgreich war auch unsere Aktion 1.000 Euro Strom sparen. Wer seine alten Stromfresser – zum Beispiel einen alten Wasserkocher – gegen ein stromsparendes neues Gerät getauscht hat, bekam 20 Prozent Zuschuss zum Kaufpreis von der Gemeinde. Und wer dieses bei einem örtlichen Elektrogeschäft gekauft hat, der profitierte von zusätzlich fünf bis zehn Prozent Händlerrabatt. Gut für die Umwelt und gut für die lokale Wirtschaft.
ZEIT ONLINE: In der Gemeinderatssitzung stimmten 14 Räte für die Prämienanreize, sechs aber dagegen. Warum?
Hollemann: Die einen meinten, dass es zu viele Maßnahmen wären. Andere meinten, es gäbe zu wenig Innovatives. Wieder andere bemängelten die notwendige Bürokratie.
ZEIT ONLINE: Was können andere Städte und Kommunen von Denzlingen lernen?
Hollemann: Wir können alle voneinander lernen. Erprobte Konzepte lassen sich weiterentwickeln. Manches gehört auf die Situation oder den Ort zugeschnitten. Ich freue mich, wenn andere Kommunen ähnliche Förderungen anbieten oder unser Konzept einfach klauen. In diesem Fall ist Diebstahl sehr gern gesehen. Entscheidend ist jedoch das tatkräftige Handeln!
Quellen:
https://www.zeit.de/mobilitaet/2020-08/denzlingen-markus-hollemann-abwrackpraemie-verbrennerauto-e-bike-oepnv/komplettansicht?print
https://www.tellerreport.com/tech/2020-08-14-denzlingen–%22we-want-to-make-doing-without-a-car-more-attractive%22.BJl4ijNVGD.html
Weitere Links zum Denzlinger Förderprogramm:
ZDF „Das Gute zum Wochenende – Eislöffel wegknabbern und Umwelt retten“ vom 15. August 2020
https://baden-tv-sued.com/klimaschutzmasnahmen-in-der-flache/
TAZ https://taz.de/500-Euro-fuer-abgeschafftes-Auto/!5701998/
https://www.markus-hollemann.de/swr-fernsehen-berichtet-ueber-klimaschutzinitiativen-in-der-gemeinde-denzlingen/